Tipps für den Antrag beim Jugendamt

Keine ausreichende schulische Förderung

Das Jugendamt ist über die Förderungssituation der Schule, z. B. durch ein Schreiben der Schulleitung,  zu informieren. Findet an der Schule eine fachlich qualifizierte Förderung für Schüler mit Lese-Rechtschreib- oder Rechenschwierigkeiten statt, ist die Schule vorrangig leistungspflichtig.

Sie sollten das Schreiben der Schule zu Fördersituation selbst einholen. Eine direkte Kommunikation zwischen Jugendamt und Schule ist nicht erforderlich.

Findet an der Schule eine einfache LRS-Förderung in einer großen Gruppe,  z.B. einmal die Woche statt, reicht das in der Regel für eine Teilleistungsstörung nicht aus. Das sollte jedoch ausdrücklich begründet werden, z. B. durch Verweis auf die S3-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Dort wird ausdrücklich eine intensive, meist über mehrere Jahre erforderliche Förderung empfohlen. Diese sollte in Einzelsitzungen oder Kleingruppen durch Fachkräfte mit einer speziellen Zusatzausbildung im Bereich der Teilleistungsstörungen erfolgen.

Auch der ärztliche Diagnostiker sollte zur Notwendigkeit der außerschulischen Förderung Ausführungen machen.

Feststellung ausgeprägter psychischer Folgesymptome

Nach § 35 a Abs. 1 a SGB VIII ist das Jugendamt zur Einholung des Gutachtens durch einen Kinder- und Jugendpsychiater (Arzt) oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (meistens Psychologe mit Zusatzqualifikation) zur Feststellung der seelischen Störung verpflichtet. Das Jugendamt ist aber nicht zwingend selbst Auftraggeber. Dieser muss nicht nur eine Lese-Rechtschreibstörung oder eine Rechenstörung feststellen, sondern darüber hinaus muss das betroffene Kind oder der Jugendliche als Folge der Teilleistungsstörung bereits ausgeprägte psychische Folgesymptome entwickelt haben. Das können z. B. Versagensängste, depressive Entwicklungen, Lernverweigerung, zunehmende Resignation, Selbstwertprobleme bis hin zu Suizidalität, psychosomatische Symptome, wie Kopf- oder Bauchschmerzen, Übelkeit, Schlafstörungen oder soziale Verhaltensstörungen sein.

Sie sollten selbst die Auswahl des Diagnostikers in die Hand nehmen und einen qualifizierten Kinder- und Jugendpsychiater oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten aufsuchen.

Da der begutachtende Arzt oder Psychotherapeut Ihr Kind in der Regel nur sehr kurz sieht, bekommt er oft nicht das ganze Ausmaß der Problematik mit. Deshalb sollten Sie gerade die oft zahlreichen einzelnen Folgesymptome, die Sie bei Ihrem Kind wahrnehmen, zusammentragen und dem Gutachter mitteilen, damit er sie darstellen, medizinisch einordnen und in seine Diagnosen einbeziehen kann.

Soziales Integrationsrisiko

Das Jugendamt muss für die Annahme einer (drohenden) seelischen Behinderung im Sinne des § 35a SGB VIII feststellen, dass bedingt durch die psychische Gesundheitsbeeinträchtigung die psychosoziale Entwicklung und Integration des Kindes oder Jugendlichen nachhaltig zumindest in einem zentralen Bereich, Schule, Familie oder soziales Umfeld, beeinträchtigt ist oder mit hoher Wahrscheinlichkeit droht.  Im Bereich Schule sind das z. B. massive Versagens- oder Schulängste, mangelnde Integration in die Klassengemeinschaft, Beeinträchtigung der Beziehungen zu Mitschülern und Lehrkräften, Kontaktschwierigkeiten oder auch dissoziales, aggressives Verhalten. Auch die Reaktionen des schulischen Umfeldes, vor allem Hänseleien und  Ausgrenzungen der Mitschüler und Unverständnis der Lehrer sind zu berücksichtigen. In der Familie sind die Beziehungen zu Familienangehörigen, Belastung durch Problematik, wie z.B. die Hausaufgabensituation, zu berücksichtigen. Im sozialen Umfeld sind die Beziehungen zu Gleichaltrigen außerhalb der Familie zu bewerten und  ob das betroffene Kind oder der Jugendliche zu einer  altersgemäßen Bewältigung von sozialen Aufgaben und Konfliktsituationen  in der Lage ist, oder ob es/er soziale Ängste hat oder Einschränkungen im Interessen- und Freizeitbereich bestehen.

Die Mitarbeiter des Jugendamtes kennen die individuelle Leidensgeschichte Ihres Kindes im Einzelnen nicht und in den Formanträgen kommt diese nur selten zum Ausdruck. Tragen Sie deshalb die einzelnen Einschränkungen und Folgeschwierigkeiten Ihres Kindes über mehrere Tage hinweg zusammen. Dazu gehört auch, wie diese Ihr Kind in der Schule, in der Familie und im Freizeitbereich beeinträchtigen. Machen Sie sich Notizen, um die Probleme konkret und ausführlich im Schreiben an das Jugendamt darstellen zu können.

Schriftlicher Antrag

Sie sollten es nicht bei einem mündlichen Antrag belassen, sondern einen schriftlichen Antrag auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Form einer Fördertherapie stellen. Der Antrag sollte so früh wie möglich und mit möglichst allen erforderlichen Unterlagen erfolgen. Dazu gehört Ihr Antragsschreiben, die ärztliche Stellungnahme, der Schulbericht und die Stellungnahme der Schule zur schulischen Fördersituation und zur sozialen Integration des Kindes in der Klasse. Besondere Formvorschriften für den Antrag bestehen nicht.

Schulbericht

Das Jugendamt benötigt für seine Entscheidung die Stellungnahme der Schule über die schulischen Leistungen und zur sozialen Integration des betroffenen Kindes oder Jugendlichen.

Diese Stellungnahme können Sie auch selbst bei der Schule einholen. Eine Schweigepflichtentbindung und ein direkter Austausch zwischen Jugendamt und Schule ist nicht erforderlich.

Entscheidung des Jugendamtes

Das Jugendamt trifft seine Entscheidung unter Einbeziehung aller Erkenntnisse, der Aussagen der Eltern und des Minderjährigen, des ärztlichen Gutachtens  und der Stellungnahme der Schule.

Bei der Auswahl der Hilfemaßnahme hat das Jugendamt ein Auswahlermessen, deshalb sollten Sie ausdrücklich eine Fördertherapie zur Behandlung der Teilleistungsstörung beantragen.  Auch wenn eine seelische Behinderung nach § 35 a SGB VIII psycho-soziale Folgeprobleme  voraussetzt, ist bei einer Teilleistungsstörung nach den S 3-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie und der medizinischen Fachliteratur vorrangig die funktionale Behandlung der Primärsymptomatik, also der Lese-Rechtschreib-  oder Rechenstörung notwendig.

Auswahl der Therapeuten

Eltern können unter den Therapeuten im Umfeld des Wohnortes frei wählen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Grundsätzlich sind die Kosten für eine Fördertherapie in vollem Umfang vom Jugendamt zu übernehmen, es sei denn die Kosten sind unverhältnismäßig hoch (mehr als 120 Prozent der ortsüblichen Kosten).

Info-Material zum Download

Was ist für einen Antrag auf Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII erforderlich?

Gutachten für die Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII

Landesverband Legasthenie und Dyskalkulie Baden-Württemberg e.V.