Außerschulische Förderung

Außerschulische Förderung

Häufig ist gerade bei Kindern mit gravierenden Teilleistungsschwierigkeiten eine zusätzliche außerschulische Lerntherapie notwendig.

Nachhilfeunterricht ist etwas ganz anderes als eine Legasthenie- oder Dyskalkulie-Therapie und kann eine solche nicht ersetzen. Im Nachhilfeunterricht geht es darum, bestimmte Lerninhalte durch Übung zu festigen, Wissenslücken zu schließen oder den Stoff für Klassenarbeiten und Prüfungen zu wiederholen.

Eine Legasthenie- oder Dyskalkulie-Therapie hat eine andere Funktion. Durch spezielle didaktische Hilfen eröffnet sie erst einen Zugang zur Schriftsprache bzw. zu den Grundrechenarten. Kinder mit Legasthenie/Dyskalkulie sind auf solche spezifischen auf die individuelle Problematik ausgerichteten Methoden durch speziell dazu qualifizierte Fachkräfte angewiesen. Sie verbindet pädagogische Förderung  mit therapeutischen Maßnahmen zur Stützung des Selbstwertgefühls und zum Abbau von Versagensängsten.

Eine Lerntherapie kann die Teilleistungsschwierigkeiten jedoch nicht heilen. Sie kann aber helfen, die Lese-Rechtschreib- bzw. Rechenleistungen durch geeignete Strategien zu verbessern und auf diese Weise zum Schulerfolg zu verhelfen. Dennoch werden auch erfolgreich therapierte Legastheniker/Dyskalkuliker  immer mehr Anstrengung und Mühe investieren müssen, um denselben Lernerfolg zu erzielen als gleich begabte Nichtbetroffene.

Schauen Sie  sich die Therapieangebote kritisch an.  Seien Sie misstrauisch bei Therapieangeboten, die Legasthenie oder Dyskalkulie in kurzer Zeit „heilen“ wollen oder Methoden, die außerhalb des Lese- und Schreiblernprozesses bzw. des Rechenlernprozesses liegen. Seriöse Lerntherapeuten orientieren sich an den speziellen Beeinträchtigungen Ihres Kindes und arbeiten mit anerkannten Methoden. Es gibt jedoch bislang keine staatlich verbindlichen Standards. Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V. hat jedoch Zertifizierungskriterien aufgestellt und führt eine Liste zertifizierter Ausbildungsinstitute und Lerntherapeuten. Aber auch nichtzertifizierte Therapeuten, die eine gute Ausbildung für Teilleistungsstörungen haben und zusätzlich über langjährige Erfahrungen verfügen, sind zu empfehlen. Der Landesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V. hilft Ihnen gerne weiter.  

Schule und Lerntherapeuten sollten zusammenarbeiten. Vermitteln Sie deshalb den Kontakt zwischen den Lehrern und außerschulischen Lerntherapeuten  Ihres Kindes.  

Die Finanzierung einer außerschulischen Lerntherapie ist bislang nur über das Jugendamt möglich. Krankenkassen zahlen keine Lerntherapie. Für die Finanzierung einer Lerntherapie müssen die Voraussetzungen einer (drohenden) seelischen Behinderung im Sinne des § 35 a SGB VIII vorliegen.

Das Jugendamt  ist erst zuständig, wenn tatsächlich keine schulischen Förderangebote zur Verfügung stehen oder die vorhandenen schulischen Förderangebote im Einzelfall für das jeweilige Kind oder den Jugendlichen nicht ausreichen bzw. sich als nicht wirksam erwiesen haben.

Lese-Rechtschreibstörung und Rechenstörung  sind für sich genommen noch keine seelischen Behinderungen im Sinne des § 35a SGB VIII.

Zusätzlich müssen bereits gravierende psychische, psychosomatische und/oder  psychosoziale Folgeprobleme, wie Angstsymptome, depressive Entwicklungen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder andere psychosomatische Symptome, soziale und Verhaltensstörungen oder Schulverweigerung vorliegen. Zu deren Feststellung  ist ein Gutachten eines Arztes/einer Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, eines/einer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten oder eines/einer speziell qualifizierten Kinderarztes oder Psychotherapeuten erforderlich.

Bedingt durch die psychische Gesundheitsbeeinträchtigung muss die psychosoziale Entwicklung und Integration des Kindes oder Jugendlichen

nachhaltig in zumindest einem zentralen Bereich, Schule, Familie oder soziales Umfeld, beeinträchtigt sein oder mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung vom 22. 11 2023 die Beeinträchtigungen und Folgestörungen einer Legasthenie dargestellt.

Die Symptome der neurobiologischen Funktionsstörung, nämlich eine deutliche Verlangsamung des Lesens, Schreibens und Textverständnisses und weit unterdurchschnittliche Rechtschreibfähigkeiten halten längerfristig, regelmäßig sogar lebenslang, an. Die damit verbundenen Einschränkungen einer individuellen und selbstbestimmten Lebensführung sind zudem gewichtig…insbesondere während der Schulzeit. Zwar gehören die erheblichen psychischen Erkrankungen, die bei Schülern mit einer Legasthenie weit überdurchschnittlich häufig auftreten, selbst nicht zum Krankheitsbild der Legasthenie. Sie machen aber doch deutlich, welchen Belastungen die legasthenen Schüler ausgesetzt sind, wenn ihre Defizite beim Lesen, Schreiben, dem Verständnis von Texten und der Rechtschreibung angesichts der schulischen Anforderungen zutage treten. (RN 43)

Die Folgen der Erkrankung sind für die Kinder beträchtlich. 20 bis 30% der Kinder mit einer ausgeprägten Legasthenie leiden als deren Folge an psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen, Aufmerksamkeitsdefiziten und Verhaltensstörungen. Die Erkrankungsrate ist damit gegenüber Kindern ohne Legasthenie um das Vier- bis Fünffache erhöht. Die psychischen Erkrankungen zeigen sich nach außen in Schulängsten, sozialem Rückzug, Interessensverlust, gedrückter Stimmung und massiven Prüfungsängsten. Während Kinder ohne Legasthenie das Gymnasium mit einem Anteil von 40 bis 75% besuchen, sind es bei Kindern mit Legasthenie trotz gleicher Begabung lediglich 12 bis 27%. Bei Kindern mit einer Legasthenie kommt es sechsmal häufiger zu einem Schulabbruch. Auch die Suizidalitätsrate ist bei legasthenen Jugendlichen deutlich höher. Diese erhebliche psychische Belastung hindert viele junge Menschen mit einer Legasthenie an einer ihrer Begabung entsprechenden Ausbildung und beruflichen Tätigkeit. (RN 40)

Frühzeitig vor Beginn der Fördermaßnahme schriftlicher Antrag an das Jugendamt:

  • Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII in Form einer Fördertherapie beantragen
  • Darstellung der individuellen Problemsituation: Legasthenie/Dyskalkulie und der daraus folgenden psychischen und sozialen Probleme
  • Medizinisches Gutachten zur Teilleistungsstörung, Gesundheitsbeeinträchtigung und zur Beeinträchtigung der sozialen Integration
  • Beurteilung des/der Klassenlehrers*in zu Schulleistungen, Lese-Rechtschreibleistungen/Rechenleistungen und Sozialverhalten
  • Angaben der Schule über die Fördersituation

 

Landesverband Legasthenie und Dyskalkulie Baden-Württemberg e.V.