Schulische Hilfen bei Leserechtschreibschwierigkeiten

Die Verwaltungsvorschrift unterscheidet zwischen Nachteilsausgleich in Abschnitt 2.3.1 und den Ausnahmen bei der Leistungsmessung und Leistungsbewertung in Abschnitt 2.3.2.

Der Nachteilsausgleich leitet sich direkt aus Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz ab. Nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung gelten für alle Schüler grundsätzlich die gleichen Leistungsanforderungen und die gleichen Bewertungsmaßstäbe. Auch die tatsächlichen Verhältnisse während der Klassenarbeiten und Prüfungen müssen gleichartig sein.

Das Gebot der Chancengleichheit soll sicherstellen, dass alle Schüler möglichst gleiche Chancen haben, die inhaltlichen Leistungsanforderungen zu erfüllen. Der Nachteilsausgleich soll die Nachteile von Schülern mit besonderem Förderbedarf oder mit Behinderungen ausgleichen.

Eine medizinisch diagnostizierte Lese-Rechtschreibstörung ist nach der Rechtsprechung zum Schul- und Prüfungsrecht eine Behinderung in den technischen Fertigkeiten des Schreibens und des Lesens und der Darstellung des (vorhandenen) Wissens, deshalb steht diesen Schülern ein Anspruch auf Herstellung chancengleicher Bedingungen zu. Im Einzelfall sind die jeweiligen individuellen Beeinträchtigungen durch geeignete Maßnahmen ausgleichen.

Ein besonderer Förderbedarf kann bei gravierenden Teilleistungsschwierigkeiten auch ohne eine medizinische Störungsdiagnose angenommen werden.

Im Einzelfall sind die jeweiligen individuellen Beeinträchtigungen durch geeignete Maßnahmen auszugleichen. Das sind

  • Ausweitung der Arbeitszeit, besonders bei Klassenarbeiten und Prüfungen,
  • Nutzung technischer, computergestützter oder didaktisch-methodischer Hilfen,
  • Andere der Gewichtung der schriftlichen, mündlichen und praktischen Leistungen,
  • Abweichen von äußeren Rahmenbedingungen in Prüfungen.

Die Schüler mit Teilleistungsstörungen müssen jedoch die gleichen Leistungen erbringen wie die nicht betroffenen Schüler. Eine Absenkung des Leistungsniveaus durch zurückhaltende Bewertung der Lese- und Rechtschreibleistungen oder andere Aufgabenstellungen ist im Rahmen des Nachteilsausgleichs nicht zulässig. Dazu sind die speziellen Regelungen zur Leistungsmessung und Leistungsbewertung nach Abschnitt 2.3.2 der Verwaltungsvorschrift erforderlich.

Über den Nachteilsausgleich entscheidet die Klassen- oder Jahrgangsstufenkonferenz. Die jeweilige Entscheidung über die Anwendung von Maßnahmen des Nachteilsausgleichs ist eine Ermessensentscheidung. Die Klassen- oder Jahrgangsstufenkonferenz kann außerschulische Stellungnahmen und Gutachten in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen. Die Entscheidung hat bindende Wirkung für die Fachlehrer.

Nachteilsausgleich ist in allen Klassenstufen, auch in Abschlussklassen und Prüfungen möglich und wird nicht im Zeugnis vermerkt.

Die Besonderheiten der Leistungsmessung und Leistungsbewertung sind in Abschnitt 2.3.2 der Verwaltungsvorschrift geregelt.

In den Klassenstufen 1 – 6 gelten sie, wenn die Leistungen im Lesen und/oder Rechtschreiben dauerhaft, d. h. in der Regel etwa ein halbes Jahr, geringer als ausreichend sind. Das gilt allein für die Leistungen im Lesen und/oder Rechtschreiben, nicht für die gesamte Deutsch- bzw. Sprachleistung. Die Formulierung „in der Regel“ stellt klar, dass der Halbjahreszeitraum nicht zwingend erforderlich ist.

Sie können auch in den höheren Klassen angewendet werden, wenn zusätzlich zu den schlechten Leistungen im Lesen und Rechtschreiben ein begründeter Ausnahmefall vorliegt. Begründete Ausnahmefälle sind:

  • Eine medizinisch diagnostizierte Lese-Rechtschreibstörung oder
  • ein weiterhin gestörter oder verzögerter Schriftspracherwerb.

Die Regelungen des Abschnitts 2.3.2 gelten jedoch nicht mehr in den Abschlussklassen und Prüfungen und auch nicht in der gymnasialen Oberstufe.

Die Leistungen im Lesen oder Rechtschreiben sind „zurückhaltend zu gewichten“. Das ist verpflichtend und gilt auch für die Berechnung der Zeugnisnote. Das bedeutet, dass die Lehrkräfte von ihrer „Standardgewichtung“ abweichen müssen. Kriterium sollte die Schwere der Problematik sein. Darüber hinaus liegt das Ausmaß der Gewichtung im pädagogischen Ermessen des einzelnen Fachlehrers.

Bei Diktaten kann (Ermessen) eine andere Aufgabe gestellt oder der Umfang der Arbeit begrenzt werden.

In den übrigen Fächern werden die Rechtschreibleistungen nicht gewertet. Diese Vorschrift ist für alle Fachlehrerinnen verpflichtend.

Die zurückhaltende Gewichtung wird im Zeugnis vermerkt.

Die Klassen- oder Jahrgangsstufenkonferenz trifft die Entscheidung.

Der Nachteilsausgleich und die Maßnahmen nach Abschnitt 2.3.2. sind bei gegebenen Voraussetzungen gleichzeitig anwendbar!

Die Schulen sind verpflichtet auch ohne Antrag der Eltern, die Verwaltungsvorschrift anzuwenden. Sprechen Sie mit dem Klassenlehrer, den Fachlehrern und wenn notwendig auch  mit der Schulleitung. Stellen Sie Ihren Antrag auf Anwendung der Ausgleichsmaßnahmen schriftlich, dann müssen Lehrkräfte und Schulleitung in der Klassenkonferenz eine Entscheidung treffen. Beide Ausgleichsmaßnahmen sind auch parallel anwendbar. Wenn Sie mit der Entscheidung der Klassenkonferenz nicht einverstanden sind, können Sie sich über das weitere Vorgehen beim Landesverband Legasthenie und Dyskalkulie Baden-Württemberg informieren oder sich auch direkt an die zuständige Schulbehörde wenden.

Nein. Jede Diagnostik ist eine psychische Belastung für das Kind und ein Eingriff in sein Persönlichkeitsgrundrecht. Deshalb ist eine Diagnostik nur zulässig, wenn sie mit wissenschaftlich anerkannten Verfahren durch qualifizierte Fachkräfte durchgeführt wird und wenn sie relevante neue Informationen liefert bzw. die vorhandenen Informationen nicht ausreichen. Eine zusätzliche sonderpädagogische bzw. schulpsychologische Testung würde lediglich Teilbereiche der bereits erfolgten und umfassenderen medizinischen Fachdiagnostik wiederholen. Sie würde also keine neuen Informationen liefern und ist damit nicht erforderlich. Sie wäre nur eine zusätzliche psychische Belastung und damit dem Kind nicht zumutbar.

Sie sollten unbedingt klären lassen, warum Ihr Kind bisher nicht lesen gelernt hat. Wenn es eine Legasthenie hat, besteht die Gefahr, dass es auch nach einem Wiederholen der Klasse noch nicht ausreichend lesen kann. Veranlassen Sie eine medizinische Fachdiagnostik. Eine Klassenwiederholung ist nur dann sinnvoll, wenn geklärt ist, dass dem Kind eine deutliche Reifeverzögerung vorliegt wurde.

Schüler mit Teilleistungsschwierigkeiten gehören nicht auf die Förderschule. Sie haben lediglich Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben bzw. Rechnen. Im Übrigen sind sie genauso leistungsfähig, wie ihre Mitschüler. Die Inklusionsvorschriften richten sich an Schüler, die ein „sonderpädagogisches Bildungsangebot“ mit zieldifferentem Unterricht benötigen. Schüler mit Teilleistungsstörungen erbringen jedoch die gleichen Leistungen, wie die übrigen Schüler. Sie benötigen lediglich eine besondere Förderung, Nachteilsausgleich und Bewertungsschutz in den betroffenen Leistungsbereichen. An den Förderschulen gibt es keine spezielle Förderung für Teilleistungsstörungen.

Tabelle Vergleich als PDF-Download

Nachteilsausgleich 2.3.1
leitet sich direkt aus dem Grundsatz der
Chancengleichheit ab
(Art. 3 Abs. 1 GG)
Abweichen von Grundsätzen der
Leistungsbewertung 2.3.2

Abweichungen vom Anforderungsprofil
  • Zeitverlängerung
  • Technische Hilfen, wie Laptop als
    Schreibhilfe
  • Didaktisch-methodische Hilfen
  • Stärkere Gewichtung der
    mündlichen/praktischen Leistungen
  • Abweichen von den äußeren
    Rahmenbedingungen

Deutsch / Fremdsprachen:

  • Zurückhaltende Gewichtung der
    Lese-Rechtschreibleistungen (Pflicht)
  •  Alternativaufgaben und Verkürzung von
    Diktaten möglich (Ermessen)

Andere Fächer:

  • Nichtbewertung der Rechtschreibung
    (Pflicht)
Entscheidung durch Klassenkonferenz /
Jahrgangsstufenkonferenz
(Ermessen)
Entscheidung durch Klassenkonferenz /
Jahrgangsstufenkonferenz
(Plicht, wenn Voraussetzungen gegeben)
Voraussetzungen:
Ausgleich von Nachteilen bei Schülern mit
Behinderung oder besonderem
Förderbedarf:
  • medizinisch diagnostizierte
    Lese-Rechtschreibstörung = Behinderung
  • Auch möglich bei besonderem
    Förderbedarf: Bei gravierenden
    Lese-Rechtschreibschwierigkeiten ohne
    medizinische Diagnostik
Voraussetzungen:
Leserechtschreibleistungen dauerhaft
schlechter als ausreichend:
In der Regel etwa ein halbes Jahr:
„In der Regel“ heißt, dass in klaren Fällen
nicht das halbe Jahr abgewartet werden
muss.

Klasse 1 – 6:

  • Medizinisch diagnostizierte
    Lese-Rechtschreibstörung
  • Auch möglich bei besonderem
    Förderbedarf (s. o.)

Klasse 1 – 6:

  • Dauerhaft schlechte
    Leserechtschreibleistungen (s. o.)

Ab Klasse 7:

  • Medizinisch diagnostizierte
    Lese-Rechtschreibstörung
  • Auch möglich bei besonderem
    Förderbedarf (s. o.)
Ab Klasse 7:

Dauerhaft schlechte
Leserechtschreibleistungen (s. o.)
und

  • Medizinisch diagnostizierte
    Lese-Rechtschreibstörung
  • Auch ohne medizinische Diagnose bei
    weiterhin gestörtem oder verzögertem
    Schriftspracherwerb

Abschlussklassen und Prüfungen:

  • Medizinisch diagnostizierte
    Lese-Rechtschreibstörung
  • Ev. auch bei besonderem Förderbedarf
    (s. o.)

Abschlussklassen und Prüfungen:

Nicht anwendbar!
Nur pädagogisches Ermessen des einzelnen
Fachlehrers möglich

Vorschläge für mögliche Maßnahmen des Nachteilsausgleichs bei Leserechtschreibschwierigkeiten

Umfang des Zeitzuschlags hängt ab von:  

  • Art und Ausmaß der Beeinträchtigungen 
  • Prüfungsinhalten
  • PC/Laptop als Schreibhilfe
  • Schreib- und Fehlerkorrekturhilfen
  • PC mit Rechtschreibkorrektur, in den nicht sprachlichen Fächern auch während schriftlicher Arbeiten, solange die Rechtschreibleistung in diesen Fächern nicht gewertet werden darf
  • Technische Lesehilfen
  • Einsatz von Spracherkennungsprogrammen
  • Audio- und Videohilfen
  • Schreibgerät: Bleistift statt Füller
  • Vorlesen von Texten, auch schriftlicher Aufgaben oder Einsatz von technischen Lesehilfen
  • Reduzieren der Lesearbeit durch optisch klar strukturierte Arbeitsblätter
  • Textoptimierung: Textvereinfachung ohne Minderung Textqualität
  • Größere Schrift, keine Schreibschrift, größere Lineatur oder Karos, gut lesbarer Schrifttyp bei Arbeits- und Testblättern
  • Verzicht auf Tafelmitschrieb und auf Abschreiben, stattdessen z. B. Ausgabe von Arbeitsblättern oder Fotografieren der Aufgaben
  • Verzicht auf Diktieren von Aufgaben
  • Differenzierte Hausaufgabenstellung, geringerer Lese- und Schreibaufwand
  • Mündliches Abfragen der Hausaufgaben
  • Geringeres Vokabellernpensum, dafür häufigeres Abfragen kleinerer Vokabelmengen
  • Mündliches Abfragen von Vokabeln
  • Reduzieren bewertungsrelevanter Schreibarbeit auch bei Leistungstests, z. B. durch Multiple-Choice-Aufgaben, Zuordnungen, Nummerierungen, Lückentexte, grafische Umsetzungen
  • Zur Korrektur und Bewertung nicht die Signalfarbe rot verwenden
  • Motivierende Bemerkungen bei schriftlichen Arbeiten
  • Unlesbare Aufzeichnungen unmittelbar nach der Leistungserbringung klären und dokumentieren bzw. auf Band sprechen
  • Insgesamt Abweichung von der Standardgewichtung ohne Absenkung des Anforderungsprofils
  • Thematisch identische mündliche statt schriftlicher Leistungskontrollen
  • Kompakte mündliche Leistungen, wie Referate, Präsentationen
  • Mündliche Vokabeltests
  • Vorne oder allein sitzen
  • Ruhige Räumlichkeit für schriftliche Arbeiten, Hörschutz
Landesverband Legasthenie und Dyskalkulie Baden-Württemberg e.V.