Tipps für den Antrag von Ausgleichmaßnahmen

Sie sollten sich zuerst Grundkenntnisse über Legasthenie bzw. Dyskalkulie und die schulischen Ausgleichmaßnahmen verschaffen und Sie sollten die entsprechenden schulrechtlichen Vorschriften kennen. Der Landesverband Legasthenie und Dyskalkulie e. V. hilft Ihnen gern dabei.

Bei Verdacht auf gravierende Teilleistungsschwierigkeiten ist eine medizinische Fachdiagnostik ratsam. Verlassen Sie sich nicht auf die schulische Einschätzung. Nur eine medizinische Fachdiagnostik schafft für alle Beteiligten Klarheit darüber, welche Problematik in welchem Ausmaß beim Kind vorliegt und welche Fördermaßnahmen notwendig sind.

Lese-Rechtschreibstörung/Legasthenie und Rechenstörung/Dyskalkulie sind umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten im Sinne des internationalen Störungskatalogs der WHO ICD-10 F.81. Davon zu unterscheiden sind die leichteren Beeinträchtigungen, die als Leserechtschreib- oder Rechenschwäche bezeichnet werden.

Die Feststellung einer Teilleistungsstörung basiert auf einer umfassenden medizinischen Differenzialdiagnostik, die ausschließlich von Kinder- Jugendpsychiatern, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten bzw. speziell qualifizierten Ärzten oder Psychotherapeuten durchgeführt werden darf.

Eine medizinische Diagnostik ist nicht jährlich erforderlich, da es sich bei Teilleistungsstörungen um oft bis ins Erwachsenalter andauernde Beeinträchtigungen handelt. Für eine manchmal jährlich geforderte Diagnostik gibt es keine rechtliche Grundlage.

Sprechen Sie mit der Klassenlehrkraft, den Fachlehrern und wenn notwendig auch  mit der Schulleitung. Informieren Sie die Lehrer über die individuellen Probleme Ihres Kindes aus Elternsicht. Bitten Sie um Verständnis und um eine angemessene Berücksichtigung seiner Problematik im Unterricht. Zeigen Sie auch die Kompetenzen und Stärken Ihres Kindes auf, auch gerade solche, die die Lehrer nicht kennen. Helfen Sie den Lehrern ihre bisherige Einschätzung zu korrigieren. Informieren Sie auch über eine eventuelle außerschulische Förderung.

Stellen Sie den Antrag auf Ausgleichsmaßnahmen am Anfang eines jeden Schuljahres. Formulieren Sie den Antrag auch schriftlich an die Klassenkonferenz und die Schulleitung, da diese für die Bewilligung der Ausgleichmaßnahmen zuständig sind. Dann muss die Klassenkonferenz eine Entscheidung treffen. Zwar sind die Schulen zur Anwendung der Verwaltungsvorschrift „Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und besonderem Förderbedarf“ vom 22. 8. 2008 und der dort vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen von Amts wegen, also ohne einen besonderen Antrag, verpflichtet, aber darauf können Sie sich nicht verlassen. Wenn Sie mit der Entscheidung der Klassenkonferenz nicht einverstanden sind, können Sie sich über das weitere Vorgehen beim Landesverband Legasthenie und Dyskalkulie Baden-Württemberg informieren oder sich auch direkt an die zuständige Schulbehörde wenden.
Wenn bei Ihrem Kind eine medizinische Teilleistungsstörung diagnostiziert wurde, schreiben Sie in den Antrag, dass Ihr Kind an einer medizinisch diagnostizierten Lese-Rechtschreibstörung bzw. Rechenstörung leidet. Machen Sie Ausführungen zum Ausmaß und zur Schwere der Teilleistungsstörung und dass es sich dabei um eine Behinderung im schulrechtlichen Sinne handelt. Schreiben Sie aber auch, dass die Einschränkungen allein die Teilleistungen betreffen und nicht auf mangelnde Begabung oder Übung zurückzuführen  sind und Ihr Kind ansonsten voll leistungsfähig ist. Verweisen Sie auf das medizinische Attest und legen Sie es bei.

Manchmal ist es sinnvoll auch kurze Ausführungen zur medizinischen und juristischen Einschätzung von Teilleistungsstörungen zu machen. Z. B. ist eine Lese-Rechtschreibstörung/Legasthenie eine Behinderung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetzes, eine umschriebene und bedeutsame Beeinträchtigung der Lese- und Rechtschreibfertigkeiten, die oft bis ins Erwachsenenalter andauert. Siehe dazu auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts.

Beantragen Sie für Ihr Kind konkrete Maßnahmen des Nachteilsausgleichs. Der Nachteilsausgleich ist in Abschnitt 2.3.1 der Verwaltungsvorschrift „Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und besonderem Förderbedarf“ geregelt und leitet sich direkt aus Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz, dem Grundsatz der Chancengleichheit, ab. Danach müssen alle Schüler die gleichen Leistungen erbringen.  Schülern mit Behinderungen oder besonderem Förderbedarf steht jedoch, soweit sie durch ihre Einschränkungen benachteiligt sind, ein Nachteilsausgleich zu. Das gilt auch für Schüler mit Teilleistungsstörungen.

Die Entscheidung der Klassen- oder Jahrgangsstufenkonferenz hat bindende Wirkung für die Fachlehrer. Nachteilsausgleich ist in allen Klassenstufen, auch in Abschlussklassen und Prüfungen, möglich und wird nicht im Zeugnis vermerkt. Wenn eine Teilleistungsstörung medizinisch diagnostiziert ist, besteht ein Anspruch auf Nachteilsausgleich direkt aus Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz. Die Klassen- oder Jahrgangsstufenkonferenz hat jedoch ein Auswahlermessen, welche konkreten Maßnahmen angemessen sind. Der Nachteilsausgleich hat sich immer an den individuellen Beeinträchtigungen zu orientieren. Allerdings dürfen die Maßnahmen den betroffenen Schüler*innen nicht besserstellen als die nicht Betroffenen.

Beantragen Sie die für Ihr Kind sinnvoll erscheinenden Maßnahmen. Begründen Sie diese auch mit konkreten Angaben zum Schweregrad und zum Ausmaß der Beeinträchtigungen, also z. B. ob nur die Rechtschreibung oder auch noch die Leseleistung eingeschränkt ist. Ausführungen dazu im medizinischen Attest sind oft auch für die Schule hilfreich.

Nachteilsausgleich kann in Zeitzuschlag bei Klassenarbeiten, Nutzung technischer oder didaktisch-methodischer Hilfen, wie statt schriftlicher Mitschriften, Fotografieren der Texte oder Anpassung der äußeren Rahmenbedingungen  durch einen ruhigen Arbeitsplatz oder Hörschutz bestehen. Bei besonders schwer Betroffenen ist auch der Einsatz von computergestützten Lese- oder Diktierhilfen, wie z. B. Vorleseapps möglich. Auch die Modifizierung der Leistungsinhalte bei gleichen Leistungsanforderungen, z. B. durch mündliche Austauschaufgaben oder stärkere Gewichtung der mündlichen Leistungen, sind Maßnahmen des Nachteilsausgleichs.

Achten Sie darauf, dass der Nachteilsausgleich in allen Klassenstufen, auch in Abschlussklassen und Prüfungen angewendet wird.
Vergewissern Sie sich, dass der Nachteilsausgleich nicht im Zeugnis vermerkt wird. Nur die Anwendung der zurückhaltenden Gewichtung von Lese-und Rechtschreibleistungen nach Abschnitt 2.3.2 der Verwaltungsvorschrift darf im Zeugnis vermerkt werden.

Bei Lese-Rechtschreibschwierigkeiten beantragen Sie auch die Anwendung der Besonderheiten der Leistungsmessung und Leistungsbewertung nach Abschnitt 2.3.2 der Verwaltungsvorschrift. Sie gelten nur für Lese-Rechtschreibschwierigkeiten, nicht für Rechenschwierigkeiten. In den Klassenstufen 1 – 6 sind nur schlechte Lese- und Rechtschreibleistungen Voraussetzung.  Eine medizinische Diagnostik ist nicht erforderlich, aber empfehlenswert. Sie sind anwendbar, wenn die Leistungen im Lesen und/oder Rechtschreiben dauerhaft, d. h. in der Regel etwa ein halbes Jahr, geringer als ausreichend sind. Das betrifft allein das Lesen und/oder Rechtschreiben, nicht die gesamte Deutsch- bzw. Sprachleistung.

In Deutsch und in den Fremdsprachen sind die Leistungen im Lesen oder Rechtschreiben zurückhaltend zu gewichten.  Das gilt auch für die Berechnung der Zeugnisnote. Bei Diktaten kann eine andere Aufgabe gestellt oder der Umfang der Arbeit begrenzt werden. In den übrigen Fächern werden die Rechtschreibleistungen nicht gewertet. Diese Vorschrift ist für alle Fachlehrer verpflichtend. Die zurückhaltende Gewichtung wird im Zeugnis vermerkt.

Für die höheren Klassen ist eine medizinische Diagnostik zu empfehlen. Die Besonderheiten der Leistungsmessung und Leistungsbewertung sind auch in den höheren Klassen anwendbar, wenn zusätzlich zu den schlechten Leistungen im Lesen und in der Rechtschreibung entweder eine medizinisch diagnostizierte Lese-Rechtschreibstörung oder ein weiterhin gestörter oder verzögerter Schriftspracherwerb vorliegen.

Die Regelungen des Abschnitts 2.3.2 der Verwaltungsvorschrift gelten jedoch nicht mehr in den Abschlussklassen und Prüfungen sowie in der gymnasialen Oberstufe. Sie können jedoch die einzelnen Fachlehrer darauf aufmerksam machen, dass sie Unterricht und Leistungsbewertung nach ihrer pädagogischen Verantwortung gestalten können.  Nach § 7 Abs. 2 Notenbildungsverordnung ist „die Bildung der Note in einem Unterrichtsfach eine pädagogisch-fachliche Gesamtbewertung der vom Schüler im Beurteilungszeitraum erbrachten Leistungen“. Das gilt auch für Zeugnisse und Abschlusszeugnisse.

Achten Sie darauf, dass die Klassenkonferenz zeitnah über Ihren Antrag entscheidet. Rückwirkend ist die Anwendung von Ausgleichsmaßnahmen grundsätzlich nicht möglich.

Überprüfen Sie im Verlauf des Schuljahres, ob die Ausgleichsmaßnahmen in den entsprechenden Fächern von den jeweiligen Fachlehrern angewendet werden. Die Fachlehrer sind an die Entscheidung der Klassenkonferenz gebunden. Rückwirkend können Sie die Maßnahmen nur ausnahmsweise einfordern.

Auch bei einer Rechenstörung ist Nachteilsausgleich möglich. Der kurze Anschnitt 2.2 in der Verwaltungsvorschrift zu Lernstandsbeobachtung und Förderung von Schülern mit besonderen Schwierigkeiten in Mathematik in der Grundschule sieht ausdrücklich die Möglichkeit des Nachteilsausgleichs vor. In höheren Klassen ist Nachteilsausgleich direkt nach Abschnitt 2.3.1 der Verwaltungsvorschrift möglich.

Eine Abweichung vom Anforderungsprofil, d. h. eine zurückhaltende Bewertung von Rechenleistungen oder das Stellen anderer Aufgaben ist nur im Rahmen des pädagogischen Ermessens des einzelnen Fachlehrers oder nach der Härtefallklausel in Abschnitt 2.3.1 der Verwaltungsvorschrift möglich.   

Landesverband Legasthenie und Dyskalkulie Baden-Württemberg e.V.